Das Licht von Dragomar 1
Prolog

Dragomar-kap1

ERSTER TEIL: ZUHAUSE

 

 

CHRONOTHAN, DER SCHWARZE DRACHE

 

Es schneite Gift und die Luft roch nach Schwefel. Die Schneeflocken sahen anders aus, als sonst. Sie waren nicht weiß, sondern schmutzig von Schwefel und Rauch. Er, der größte Krieger aller Zeiten würde sich jetzt aufmachen, den Feind, der so vielen unermessliches Leid zugefügt hatte und mit Feuer und Bosheit Tod, Zerstörung und Hoffnungslosigkeit brachte, endgültig zu besiegen. Besiegen hieß hier nicht, eine Kapitulation zu erzwingen, wie es in früheren Kämpfen möglich war, um selbst den Feind nicht vollends zu schädigen und sich selbst nicht im Hass zu ergießen. Besiegen hieß heute, unbarmherzig zu vernichten und die Chance auf einen Neuanfang, mit aller Härte herbeizuführen. Der eigene Zauber würde in einen tiefen, inneren Kampf stürzen. Darum würde es in jedem Fall sein letzter Kampf sein. Er würde keine neue, verdorbene Saat des gefühllosen Nutzens des Verstandes einbringen. Seine Gewalt würde nicht Teil einer besseren Zukunft, die aus Toleranz und Mitgefühl erwachsen sollte.


Die anderen standen um ihn herum. Sie waren sicher, dass er gewinnen würde, weil seine Niederlage nicht nur ihr Leben, sondern auch ihr Weltbild, mit allem, woran sie glaubten, zerstören würde. Ekky stand in Kreise seiner Familie und Freunde, den Tieren, den Menschen und den Drachen – es werden sechzigtausend gewesen sein. Die besten Zauberer hatten ihn bis hier hin, im Kampf gegen den Feind erfolgreich ausgebildet und waren ihm immer beiseitegestanden. Für das, was im letzten Kampf auf sie wartete, waren sie nicht stark genug. Der Gegner, den der Feind jetzt als letzte Waffe gesandt hatte, war übermächtig. Wenn einer eine Chance hatte, dieses Monster zu besiegen, war er es allein.

Er, Ekky, der Fürst seines Stammes, der Meister seiner Zunft, der Großmeister aller Zauberer und Magier, der Vorsitzenden des Rates, der Held von Asnalordh und zahlloser anderer Schlachten, die er geführt und entschieden hatte.

Er breitete seine gewaltigen Schwingungen aus, stieß einen roten Feuerstoß gen Himmel und startete zu seinem letzten Flug. Die Hoffnungen der Bewohner von ganz Antarktika begleiteten ihn. Für einen Vogel wäre es ein Tagesflug gewesen. Nicht für ihn.

 

Es war die goldene Stunde gekommen. Die Zeit, wenn der Tag den Abend mit einem Farbenmeer begrüßt. Der Moment, den die Maler so lieben weil die Zeit kurz still zu stehen scheint und die Farben von allem, was ist, bei diesem speziellen Licht, zu einer kraftvollen Überhöhung von allem, was wahrgenommen wird, erscheinen lassen. In Italien kämpfte sich zur gleichen Zeit die Renaissance mit Schönheit ans Licht. Die Menschen waren bereit, für ihre Sicht des Humanismus, dem dunklen Zeitalter den Todesstoß zu geben. Sie wussten nicht, dass sich das Schicksal der Welt, zumindest für den Moment und die Chance auf ein neues, gutes Zeitalter jetzt und hier, in der Antarktis, an diesem Tag, entscheiden würde. In der Natur war es die Stunde, in der die Geschöpfe des Tages kurz innehielten, um sich dann auf den Heimweg zu ihren noch sicheren Nachtlagern zu machen. Die Geschöpfe der Nacht erwachten. Noch einen Moment, mit überanstrengten Augen wieder einen unerlebt prächtigen Tag zu verabschieden, bevor sie sich in der Dunkelheit aufmachen würden, entsprechend ihrer angestammten Art, ihr Glück und Geschick zu suchen.

Ekky gehörte zu den Drachen der Welten, die allen anderen Drachen überlegen waren. Doch er war noch mehr. Er war der erste Drache aller Zeiten, der nicht nur die Welten in sich vereinte, sondern auch seine Wesensmerkmale, Träume und Fähigkeiten zu einer untrennbaren Einheit zusammen gefügt hatte. Sein Körper, der nicht sein Körper war, sondern der Körper vieler, in einer Einheit mit seinem Geist der nicht nur sein Geist war sondern der Geist seiner Vorfahren, derer, die ihn liebten, und seiner Magien. Sie waren nicht die starken Verbündeten mit freiem Willen, die für die gemeinsame Sache kämpften. Nein, sie waren alle miteinander verschmolzen zu einer Einheit aus purer Energie, die sich im nächsten und letzten Schritt der Entwicklung bereits jenseits der körperlichen Existenz befände. Er hatte die höchste Stufe der Drachenexistenz erreicht und war der erste Drache des Lichts. Wieder. Vor langer Zeit gab es schon einmal einen Drachen des Lichts. Als Kind umgekommen und jetzt auferstanden, ohne es gewusst zu haben. Es war nicht die Persönlichkeit oder Erkenntnis, die seine eigene kleine Geschichte fortsetzten, Es war die Erfahrung Kraft und Macht seiner Ahnen, die als Energie in ihm stützend und mahnend wachten.

 

Sein Gegner war nicht mehr fern. Die beiden Inseln, die im Zentrum dessen lagen, was das Schicksal der Welt entscheiden sollte, waren schon gut sichtbar vor ihm. Rechts die Insel seiner Vorfahren und Freunde seiner Heimat. Der Kristall an der Spitze des Berges, der als unzerstörbar galt, wurde vom Feind zu Kohlenstaub verbrannt. Der Kristall war immer das Symbol. Er war das Symbol der Stärke, des Zusammenhalts, der Magie, der Hoffnung und des Widerstands. Er war sogar das Symbol des Glaubens – in verschiedenen Epochen unterschiedlich genutzt und gehuldigt; kultisch und universell. Es war ein Gegenstand, ein Hilfsmittel der Magie, die selbst nicht gegenständlich war. Das Licht, das den Kristall speiste und um das sich viele Mythen der Zauberei und der Geschichte der Insel rankten, schoss ungehindert als weißer, gleißender Lichtstrahl senkrecht in den Himmel. Die einen sahen in ihm das Schwert, die anderen den mahnenden Finger einer menschlichen Hand.

Auf der linken Seite, in der Ferne lag die Insel des Feindes. Einst gehörten beide Inseln zu einem großen Reich. Die Insel des Feuers wurde Zufluchtsort des Feindes und er machte sie zu seinem Hauptquartier in der Region. In der Mitte der Insel stand ein aktiver, gewaltiger Vulkan. Er spuckte Feuerbomben und trieb glühende Gesteinsmassen die Abhänge hinunter ins Meer. Wo die heiße Lava aufs Meer traf, zischte und fauchte es in einer aufsteigenden Wand aus Wasserdampf. Hier würde der eine Gegner auf ihn warten, fern von seiner eigentlichen Heimat.

Sein Gegner war der letzte Gesandte des Bösen und seine unbestechliche Verkörperung. Chronothan war sein Name. Der schwarze Drache von Hadnigor. In allen vorhergehenden Schlachten, die Ekky geführt hatte und es dort zur Meisterschaft brachte, war der schwarze Drache nie in Erscheinung getreten. In all den Jahren konnte Ekky die starken Gegner vertreiben oder ausschalten. Immer war der Ausgang unsicher und immer forderte es hohe Verluste auf beiden Seiten. Er hatte gegen fremde Drachen, Verräter aus den eigenen Reihen und vom Bösen geschaffene, alles zerstörende Kreaturen gekämpft. Chronothan war stärker, aber nicht zum ersten Mal der Gegner von Ekkys Familie, die eine Dynastie unter den Drachen der Vorzeit dargestellt hatten.

Nun war er wieder da. Größer, stärker und pechschwarz. Der schwarze Drache hatte seiner Heimat, seinen Palast, das goldene Verlies in Hadnigor verlassen, nachdem Ekky alle anderen Gegner und Helden des Bösen, die zu Materie gewordenen Geschöpfe, die der Fantasie vieler bösartiger Gedanken und Taten entsprachen, besiegt hatte.

Das Böse ist ein Ergebnis, kein Ursprung. Es sammelt sich in Seen, die Schwerter sind – als ein Öl – überall, unter und auf der Erde. Das Böse ist zähflüssig und doch kriecht es überall hin. Es beginnt langsam zu brennen, aber wenn es brennt, entfaltet es seine ganze Macht. Das Böse wächst mit schlechten Gedanken, Worten und schlechten Taten. Diese irren zunächst ziellos wie kleinste, unwichtige und geduldete Organismen, bis sie zu der Essenz werden, die das Böse um einen Tropfen reicher werden lässt. Wie das Öl reicht ein Tropfen, um einen dünnen Film zu erstellen, der unter sich alle Güte und Freundlichkeit erstickt.

Im Alltag würde das Böse immer im Vorteil sein. Zerstörung braucht keinen Plan, ist schon im Kleinen schädlicher und findet mehr Anhänger als das Gute auf seinem mit allen geteilten, beschwerlichen Weg ans Licht. Diesen trat das Gute nicht für eine Belohnung oder Beifall an. Es konnte nicht anders, als es wieder und wieder zu versuchen, wie beschwerlich es auch war, oder wie lange es auch dauern würde. Das Böse konnte warten und jederzeit zuschlagen. Der Erfolg des Guten grämte das Böse nicht. Die nächste Zerstörung von Hoffnungen und Träumen würde nur imposanter und zerschmetternder sein.

Chronothan stand oben, mit ausgebreiteten Flügeln auf dem Vulkan, den Kraterrand, über den sich rot glühende Lava ergoss, mit seinen Klauen umfasst. Die Lava floss über seine Klauen und erkaltete schneller, weil jede Energie ihn nährte. Er brauchte diese Energie nicht. Selbst die Energie eines Drachen des Lichts reizte ihn nicht. Das Böse in ihm war so stark, dass es sich selbst nährte. Der innere Wettstreit des Bösen gegen das Böse, mit ausschließlich bösen Absichten war der Schlüssel zur optimalen Energieverwertung. Die inneren Kriege führten zur äußeren Stärke. Er war nicht wieder zu erkennen, auch sein Verhalten nicht, aber seine ruhigen, dominanten Augen verrieten ihn. Seine Fähigkeiten waren nicht von dieser Welt.

Als ehemaliger Drache des Feuers war seine größte Waffe immer noch die Flamme. Diese war nicht mehr Gelb oder Feuerrot. Sie loderte nicht wie ein Feuer. Sie sah aus wie ein schwarzmetallener schimmernder, harter Strahl aus Gas, der alles erstickte, was er berührte. Chronothan konnte auch kleine schwarze Rauchringe ausspeien, die alles, was in ihre Nähe kam, in sich hinein sogen und so stark zusammendrückten, dass ein großer Wal auf die Größe eines Sandkornes schrumpfte und dieses Sandkorn-kleine Gebilde dennoch so schwer war wie der ganze Wal. Einmal freigesetzt und nicht wieder von ihm aufgesogen, würden die schwarzen Rauchringe nicht aufhören, Materie einzusaugen, bis der ganze Planet ein kleiner Klumpen mit großer Masse wäre.

Ekky musste das Ende von Chronothan jetzt erzwingen. Er war im Zielanflug und Chronothan eröffnete das Feuer mit langen Stafetten von Gasgeschossen, die wie gerade Blitze durch die Luft surrten. Ekky aktivierte seinen Schutzschild, mit dem er in Lava hätte tauchen können und lenkte die Geschosse, denen er durch Ausweichen nicht entkommen war, ab.

Auch Ekky eröffnete das Feuer. Er spie eine von einem aus seinem Schlund kommenden Blitz getragene Barnakath, ein fliegendes Kraftwerk aus, das seinerseits Blitze aussandte. Der Trägerblitz brachte die Barnakath hoch in die Luft und platzierte sie direkt über und hinter dem schwarzen Drachen. Sie feuerte unentwegt Blitze auf Chronothan ab. Nur beim Abfeuern der Blitze sahen diese noch aus, wie gewöhnliche Blitze am Ort ihrer Entstehung, bevor sie durch die Luftschichten wirrten und sich verzweigten. Diese Blitze waren geradlinig, wurden langsamer und verloren ihr Leuchten, kurz bevor sie, wie abgeschossene Harpunen, auf ihr Ziel trafen. Die Treffer im Ziel waren keine klassischen, ballistischen oder rein energetischen Einschläge, sondern eine Art Annäherung an das Ziel, dass selbst die Blitze anzog.

Die Treffer der Blitze waren schwer und zeigten Wirkung. Chronothan hatte es zunächst nicht Ernst genommen, dass er beschossen wurde. Dennoch wurde er schwächer. Der Unzerstörbare verstand nicht sofort, was es mit dieser Waffe auf sich hatte. Der schwarze Drache wirkte überrascht von seiner Verwundbarkeit und drehte sich um. Die Blitze waren nicht eingeschlagen und hatten ihn auch nicht verwundet und dennoch zeigten sie Wirkung. Die Enden der Blitze waren wie dunkle, fast unsichtbare Kelche und schwebten direkt vor seinem Körper. Die Blitze führten von diesen Kelchen zurück zu ihrer Quelle, der Barnakath, von denen Ekky inzwischen zwei weitere auf der Anflugseite platziert hatte, die nun auch Blitze abfeuerten. Eine Weitere war auf ihren Leitblitz auf dem Weg, um die Erste zu ersetzen, sobald diese explodieren würde. Die Blitze, welche die Barnakath und den schwarzen Drachen verbanden, waren wie glühende Drähte, deren Glühen am stärksten an der Barnakath selbst war. Jedes Mal, wenn Chronothan einen dieser schwebenden Kelche packte und wegschleuderte, wurden, in einer lauten Explosion, Mengen an Energie frei. Die Explosionen selbst schadeten Chronothan kein Bisschen. Sie verpufften in der Luft und die Verbindungen zur neue Blitze abschießenden Quelle waren fort. Die Waffe war keine gewöhnliche Barnakath, die Blitze speiende Drachen der höchsten Stufe in ihrem Repertoire hatten. Dies war eine Barnakath Rhe. Nur Drachen des Lichtes waren imstande diese Waffe zu erzeugen und zu kontrollieren.

Ihre Funktionsweise basierte darauf, mit Energie eine Masse, wie an einem Transporterseil, dem Blitz, nahe an den schwarzen Drachen zu bringen und Energie von ihm abzuziehen. Zwischen den Drachen und den Kelchen entstand eine Energiebrücke, die Energie aus den Drachen abzog und als Licht und Wärme zur Quelle der Blitze transportierte. Wenn die Barnakath selbst ihre kritische Masse erreichte, explodierte sie, ohne dass die Energie zurückfloss.

Beim Wegstoßen der Kelche verpuffte auch die Energie, die der schwarze Drache aufbrachte, um die Bindung zwischen sich und den Kelchen zu brechen. Er wurde immer schwächer.

Ekky hatte gewusst, dass diesem Gegner nicht mit noch mehr Feuer, gewöhnlichen Blitzen oder Geschossen beizukommen war. Er stand mit langsamen Flügelschlägen, in einiger Entfernung, hoch in der Luft und beobachtete seinen Gegner, der, entgegen seinem Naturell, rasend vor Wut, lauter Explosionen verursachte, weil er die Verbindungen brach.

Ekky wähnte sich kurz vor dem Ziel und bereitete sich auf seinen nächsten Angriff vor. Er hatte einige Eisberge, nur mit seinen Gedanken,

schon vor Tagen in die Nähe des Vulkans gebracht und ließ sie jetzt, sich aus dem Ozean erheben. Er dirigierte die schwebenden Eisberge hinter seinen Gegner über den Krater des Vulkanes und ließ sie in den mit Magma befüllten Krater fallen. Einen nach dem anderen. Es knallte und zischte, als die Eisberge ins flüssige Gestein fielen, der Wasserdampf aufstieg und eine satte, dichte Wolkendecke über dem Vulkan bildete. Es reichte noch nicht, für das, was Ekky vorhatte. Er schleuderte sechs starke Blitze in die Kraterwand, unterhalb des Magmapegels. Das Gestein brach und das Magma ergoss sich in den Ozean und erzeugte eine fauchende Wand aus Wasserdampf, die gegen den Himmel aufstieg.

Nun war es so weit. Ekky schoss einen langen Strahl Eiskristalle, die in einem silbrigen Gas flogen. Über den Wolken fielen sie nieder. In den Wolken wuchsen die Eiskristalle zu Eiszapfen, die auf Chronothan niederschlugen und den geschwächten Drachen kalt erwischten und verletzten.

Chronothan war beschäftigt und Ekky, als Drache des Lichts würde jetzt seine stärkste Waffe einsetzen.

Plötzlich geschah etwas, das die ganze Niedertracht seines Feindes offenbarte. Das Böse setzte auch eine Waffe ein, die einen komplett aus der Welt reißen konnte. Nicht einmal Chronothan würde ihr stand-halten.

»Aufstehen, Ekky!«

So war das also. Der Feind hatte neben seiner stärksten Waffe, dem schwarzen Drachen, auch seine gefährlichste, endgültige Waffe eingesetzt. Der Feind musste so verzweifelt sein, dass er glaubte, diesen Krieg nicht mehr mit konventionellen Mitteln gewinnen zu können. Es wüde den Kampf ungerecht entscheiden und das Böse für immer über die Welt triumphieren lassen, weil er, Ekky, der sieggewohnte, der beste Krieger und Zauberer aller Zeiten, seiner unausweichlichen Niederlage entgegenflog. Der beste Kämpfer wird gegen das ultimative Böse kampflos verlieren, das in Sprache und Gestalt erbarmungsloser nicht hätte erscheinen können: Tante Maja, die Hüterin des Feuers und des Tempels.