Das Licht von Dragomar 1
Kapitel 2

kap2

ERSTER TEIL: ZUHAUSE

 

 

»AUFSTEHEN, EKKY!«

Aufstehen war nicht seine Sache. Schon überhaupt nicht, wenn ihm zum ersten Mal gewaltige, signalrote Flammen und zinnoberroter Rauch aus den Nasenlöchern kamen. Egal, was war schon ein Traum ohne Feuer. Der Rauch allein war schon ein Grund genug, einfach liegenzubleiben und darauf zu warten, dass das ungewohnt lästige von dem gewohnt Lästigen verdrängt würde. Er würde gerne auffallen, den Rahmen des Alltags mit ›Hey, ich kann Feuer schnauben!‹, aufbrechen – aber bitte nur, wenn der gewohnte Trott ihm als Gehhilfe durchs Leben weiter, unverändert zur Verfügung stünde.

Der Morgen begann wie jeder Morgen – mit einer Entscheidung. Wie jeden Morgen entschied er sich nicht gegen etwas, sondern für etwas, das Liegenbleiben. Weder der Weckruf, den er glaubte gehört zu haben, noch die Flammen, die aus ihm hervortraten, hatte er damit ignoriert. Nein, er wollte nur sicherstellen, dass die Elemente Feuer, Luft und Erde, ihren Wettstreit um seine Aufmerksamkeit, unter sich aus- machten. Das war etwas unfair, weil die Elemente Erde und Luft eine starke Verbündete in Tante Maja hatten, die allem, was aus der Reihe tanzte, seinen vorbestimmten Platz im System zeigte. Das war notwendig, denn ›ein System wird nur durch Ordnung aufrechterhalten‹. Wenn sie wüsste, was passiert, wenn zwei ordentliche Systeme sich unordentlich in die Federn kriegen… . Außerdem war das Feuer neu. Es konnte auch gut sein, dass er die Sache mit dem Feuer nur geträumt hatte, wie so viele andere abenteuerliche und sonderbare Dinge. Feuer, das nicht von einem Blitz oder Vulkan kam, gab es hier in der Antarktis sowieso nicht. Hier gab es nichts, was hätte brennen können - zumindest nicht lange. ›Fels?, Eis? Wasser? Möwen?‹ Ekky lächelte bei dem Gedanken an angekokelte Möwen, die dann nur noch zu Fuß versuchten, ihm sein Essen zu klauen.

Ekkys Familie wohnte, mit viertausenddreihundertundzwanzig anderen Familien, in einer Pinguinkolonie, an einer winzigen Bucht, auf dem Kontinent Antarktika. Einen genauen Überblick über die Einwohnerzahl gab es nicht, da ständig geheiratet wurde und dauernd Besuch kam, der nicht wieder verschwand. Es war ein reges Treiben, aber alles hatte seine Ordnung, die man nur verstehen konnte, wenn man Bestandteil des Ganzen war. Der Boden war fast vollständig mit Eis bedeckt. Auch die Bucht war vereist, sodass es eine geraume Zeit brauchte, um von der Kolonie zum Wasser zu gelangen. Die Bucht hieß ›Bucht der Pinguine‹. Eigentlich war der Name der Bucht Narothnir Ptnorr. Das konnte kein Pinguin aussprechen. Genauso wusste kein Pinguin hier in der Bucht, ob das überhaupt das Gleiche bedeutete. Es war eine Einbuchtung am schmalsten Teil einer Landzunge des Kontinents Antarktika, die weit bis ins Meer hinein reichte und in einer im Kreisbogen gedachten Linie von Inseln fortgeführt wurde, die irgendwann auf das Festland von Südamerika treffen würde. So erzählte man es sich zumindest in der Kolonie, obwohl niemand jemanden kannte, der jemals dort gewesen war.

Ekky war ein Pinguin, der an der Schwelle zwischen Kindheit und dem Erwachsenwerden stand. Er war in der Entwicklungsphase, in der ihn der Alltag nervte. Er suchte Anreize, um neue Schritte in ein selbstbestimmtes Leben zu watscheln. Er sehnte sich nach Freiheiten, Dinge zu unternehmen, die ihm bislang nicht erlaubt waren. Hinzu kam eine steigende Sehnsucht nach der Ferne.

Er sah fast genauso aus, wie alle in der Kolonie. Fast. Im Verhältnis zu seinem Körper waren seine Füße größer als bei anderen. Das war ein Vorteil, denn er hatte einen sicheren Stand. Beim Schwimmen und Tauchen war er durch die Füße, die wie breite, rosafarbene Schwimmflossen aussahen, im Vorteil. Sein Schnabel war ebenfalls kräftiger und breit. Bisher hatte er keinen Vorteil daraus geschlagen. Die Augen von Ekky waren auch etwas größer und leuchteten hellblau. Anders, als alle Pinguine, war es ihm möglich, Dinge in der Ferne, in der gleichen Schärfe zu erkennen, wie das, was sich vor seinem Schnabel abspielte. Diese kleinen Auffälligkeiten spielten keine Rolle in der Kolonie. So identisch die meisten auch aussahen, so verschieden waren sie in ihrem Wesen.

»Aufstehen, Ekky! Guten Morgen«, rief die singende Stimme mit dem Brustton der positiven Überzeugung.

Es war ein Tauschgeschäft. Ekky gab seinen Schlaf her, aus dem sie ihn riss und erhielt zum Tausch gute Wünsche, für die nächsten Stunden, bis zum Mittagessen. Die Stimme war schnatterig, mit einem Grunzen gepaart, dass sich die Zehennägel hochbogen. Sie war auch imstande, durch ihre Schnabellöcher zu trompeten. Sie: Ekkys Tante Maja war zu beidem gleichzeitig in der Lage: Schnattern und Trompeten. Morgens, in einer Fröhlichkeit, als hätte sie endlich einen Mann gefunden. Es war nicht so, dass sie einen Mann gesucht hätte, aber vielen wäre es lieber gewesen, sie würde verliebt spazieren gehen, als in der gesamten Pinguinkolonie ungefragt für Recht und Ordnung zu sorgen.

»Aufstehen, kleiner Pinguin! Zeit für dein Frühstück. Die Sonne scheint. Ich geh´schon vor«, schnatterte sie und stolzierte davon, ohne mit Widerspruch zu rechnen.

Ihre entschlossenen Schritte auf dem Eis waren unverkennbar. Es war die Härte des Auftretens, sobald sich ihre Zehen mit den Nägeln in das Eis krallten. Ekky hasste es, wenn sie ihn »kleiner Pinguin« rief. Schließlich gehörte er schon zu den etwas Älteren und es würde nicht mehr lange dauern, bis er selbst im Ozean auf Fischfang ginge.

»Ich komme Tante Maja!«, rief er ihren Schritten hinterher und behielt seine Augen geschlossen.

»Halt deinen Schnabel und geh!«, murmelte der dicke Bozo, der neben ihm auf der Seite lag. »Sonst kommt sie wieder. Wenn das passiert, kriegst du heute Abend eine Abreibung, die sich gewaschen hat.«

Wie konnte Tante Maja morgens, so früh, so voller Energie sein? Er war es nicht. Was hieß bei Tante Maja gehen? Sie watschelte nicht gemütlich, leise, wie es alle Pinguine, unter Einsatz von flatternden Flossen, ihrer Art entsprechend, umsetzten, um das Gleichgewicht zu halten. Nein, Tante Maja stolzierte wie eine Möwe mit schnellen, raumgreifenden Schritten und angelegten ›Armen‹, als sei sie kein Pinguin oder überhaupt ein Vogel.

»Niemand fordert, dass der aufrechte Gang wackelig zu sein hat. Gleichfalls hat keiner behauptet, dass ungestümes mit den Flossen Herumfuchteln von einer, dem Antlitz zuträglichen Eleganz sei«, antwortete Tante Maja immer, wenn sie nach ihrer Art, sich zu bewegen gefragt wurde.

Flügel waren ein Thema unter Pinguinen. Korrekterweise waren es Flossen. Als Vögel beanspruchten etliche Pinguine, auch als solche wahrgenommen zu werden. Verbreitet war die Flügeltheorie vor allem unter Kaiser- und Königspinguinen, die sich für die Albatrosse des Wassers hielten. Ekky hatte noch nie einen Albatros gesehen. Das ausgerechnet die Tiere, die am meisten in riesengroßen Gruppen gleichrangiger Artgenossen lebten, sich alle für Kaiser oder Könige hielten, erschien Ekky, der ein Gegner von Machtansprüchen war, etwa so sonderbar und überflüssig wie die Flossen-/Flügeldiskussion. Aber auch bei den Flossen ging Tante Maja noch einen Schritt weiter. Sie hatte Arme mit Händen. Zumindest nannte sie ihre Flossen so.

Auch das interessierte im Grunde niemanden, weil keiner wissen konnte, dass Maja, bezogen auf ihre Person, diese Bezeichnungen tatsächlich nicht ganz zu Unrecht benutzte.

Ekky zog, künstlich motiviert, die Mundwinkel nach oben und schnaufte tief durch seinen breiten Schnabel. Es roch nach Pinguinen. Wie immer. An der frischen Luft, draußen, merkte man es nicht. Am Morgen stand die Luft, beladen mit einem Geruch aus fischigem Atem und ranzigem Öl in der Schlafhöhle. Wie hätte es anders sein sollen. Als Pinguin hatte man kein eigenes Zimmer. Ein erwachsener Pinguin hatte gar keinen Raum, nicht einmal mit anderen gemeinsam. Immer draußen schlafen, sogar im Ozean, bei Tag und bei Nacht. Die Kaiserpinguine, die ihre Kolonie nicht weit entfernt hatten, waren die unumstrittenen Meister der schlaflosen Einsamkeit, nachts, im Ozean.

Jeden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, dieser Weckruf. Jeden Morgen und Abend die gleichen Leute um einen herum. Dreißig jugendliche Pinguine in einem Raum. Einer redete im Schlaf über Dinge, die keiner verstehen konnte. Alle anderen schnarchten mit weit geöffnetem Schnäbeln, die beim Einatmen klapperten, durcheinander.

Ekky überlegte, liegenzubleiben. Zweimal hatte er es schon versucht. Seine Tante kam erneut in die Höhle und trompetete so laut, dass alle wach wurden und sauer auf ihn waren. Den dicken Bozo fürchtete er nicht. Bozo war langsam und riss den Schnabel nur so weit auf, um respektiert zu werden. Bei jedem kleinen Gewitter war Bozo der Erste in der Höhle. Ein mit Schlägen drohender Bozo war so beeindruckend wie eine Gruselgeschichte von Ekkys Mutter: Viel Lärm um nichts. Bozo war ein Feigling, der seine Feigheit mit Getöse überspielte. Keiner

konnte ihn leiden, den verwöhnten Jammerlappen, dem ständig die Nase am Schnabel lief. Aber er war schwer abzuschütteln. Er zwängte sich überall dazwischen. In jedem Raum und in jedes Gespräch.

Seit dem letzten Mal, als Tante Maja erneut kam, um ihn zu wecken, schlief Ekky freiwillig am Eingang der Schlafhöhle und weil es hier nicht so streng nach Pinguin roch. Auch er roch nach Pinguin, aber besser.

Seine Flossen juckten. Er kratzte sich. Es brachte keine Linderung. Er öffnete blinzelnd die Augen und ein Sonnenstrahl blendete ihn. Der Strahl fiel durch das zwanzig Pinguine breite und fünf Pinguine hohe Eingangsloch in die felsige Höhle.

›Wenigstens schneit es nicht‹, dachte er, um in Stimmung zu kommen. Die meisten anderen schliefen. Sie hatten Tante Maja nicht gehört, was kaum vorstellbar war, oder sie hatten sich schlafend gestellt. Tante Maja, eine rüstige Dame ›in bestem Alter‹, wie sie sich gern beschrieb, war immer die Erste an der Schlafhöhle, um ihn zu wecken. Die Verwandten der anderen kamen später. Ekkys Familie bestand aus Frühaufstehern. Seine Eltern zogen morgens zum Fischfang los und waren spät am Abend wieder zurück.

Sein Leben war vom Alltag geprägt. Jeder Tag lief ab, wie der Vorherige. Es gab ein zu übersichtliches Sortiment an Abwechslungen. Mit seinen Freunden unternahm er manchmal, wie sie es nannten, ›Expeditionen‹ zu Orten, an denen sie nie zuvor waren, oder sie spielten, was sie bisher nicht gespielt hatten. Klitzekleine Veränderungen des Ortes und der Spielregeln. Ansonsten hatte alles seine Zeit und seinen Rhythmus. Da wo er lebte, gab es nur Pinguine und ein paar Möwen. Er konnte Möwen nicht ausstehen. Sie waren lästig. Richtige Feinde gab es nicht und es gab nur wenig Neues zu entdecken. Es drehte sich hier an Land alles darum, dass Jungpinguinen nichts passierte, bis sie alt genug waren, im großen Wasser eigenständig auf Fischfang zu gehen.

Es gab viele Geschichten vom großen Wasser, dem Ozean oder Eismeer und er konnte es nicht erwarten, dorthin zu gelangen. Bis dahin würde er heldenhaft, aber nicht ohne kritischen Protest, die Langeweile in der Kolonie überstehen. Seine Flossen juckten immer noch. Sitzend blickte er seitlich an sich hinunter. Die Enden seiner Flossen hatten einen bläulich leuchtenden Saum. Es sah so aus, als hätte das Licht einen Puls und als versuchte es, sich auf seinen beiden Flossen zu verbreiten. Das Jucken wurde zu einem warmen Kribbeln.

Ekky dachte: ›Beim Pinguin! Wenn das bleibt, bin ich ein bunterer Vogel als Spot.‹ Spot war sein älterer Bruder. Der hatte eine Farbveränderung am Bauchgefieder, die recht auffällig war. Ekky schüttelte den Kopf, um restlos wach zu werden. Beim erneuten Hinsehen war das Leuchten weg, genauso, wie es nicht mehr juckte und kribbelte. ›Alles nur Einbildung. War da nicht was mit Feuer? Egal.‹

Ekky erhob sich schleppend von seinem Nachtlager, das in einer Höhle, im Fels eines Berges war. Die Größe war auskömmlich für dreißig Pinguine. Die anderen jungen Pinguine der Kolonie wohnten auch in Höhlen oder schliefen draußen. Seine Höhle lag auf einer Anhöhe oberhalb des Eisfeldes, dass der Kolonie gehörte. Seine Familie lebte hier schon seit vielen Generationen. Im Gegensatz zu den Zugereisten, von denen es viele gab, war Ekky ein Einheimischer. Das war wichtig in der Kolonie. Zugereiste hatten es immer schwerer, anerkannt zu werden. Sie konnten sich noch so viel Mühe geben. Es dauerte. Abends war es etwas anstrengend, hoch zur Höhle zu stapfen. Morgens, wenn es nicht stürmte, war es ein Riesenspaß auf dem Bauch oder Rücken zum Frühstück zu rutschen.

Er überblickte von seiner erhöhten Position die Eiswüste, die sein Zuhause war. Das große Wasser konnte er von hier nicht sehen. Er sah die Kolonie, die sich aufrappelte, sich mit Schnee frisch machte und Verwandte und Freunde, die über Nacht zu Gast waren, verabschiedete. Ein scheinbar endlos langer Tross von Pinguinen war auf dem Weg zum Fisch- und Krebsfang im großen Wasser.

»Ich komme!«, rief Ekky der Welt entgegen und sprang, mit dem Kopf voran, auf die Eisrutsche Nummer eins, die durch das Morgenlicht wie hellblauer Kristall schimmerte. Zum Rutschen wurden vier Bahnen genutzt, die von den Höhlen hinab führten. Es waren eingerutschte Pfade, umgeben von höheren Schneewandungen. Sie endeten in der Kolonie. Zum Gehen waren sie mittlerweile zu glatt poliert. Die Rutschen waren in ihrem Höhen- und Kurvenprofil verschieden. Sie waren alle unterschiedlich zu fahren. Es ging nicht einfach nur nach unten, wie auf dem Baby-Hügel nebenan, auf dem die jüngsten ihre ersten Versuche unternahmen. Aus dem Alter war Ekky raus. Er war Profi.

Jede Rutsche hatte ihre Besonderheiten und Tücken. Die schnellste Rutsche war Nummer drei. Sie lag etwas abseits. Um zu ihr zu gelangen, musste man ein wenig den Hügel hinauf gehen und konnte auf der breiten, steilen Rutsche, mit nur drei Kurven, kurz vor dem Ende eine Schussfahrt nach unten machen. Unten war man noch so schnell, dass fast die gesamte Breite des Eisfeldes genutzt werden konnte. Zwei der drei Kurven hatten es in sich. Eine unsaubere Fahrlinie und man ›schaukelte‹ hin und her, bis man in Kurve drei spätestens aus der Bahn flog. Hinter Kurve zwei war ein Felsen. Rutsche Nummer vier war die längste Bahn, aber auch die langsamste. Kurvenfahrten wurden hier geübt. Für das, was Ekky heute vorhatte, war sie weniger geeignet. Gerade bei Neuschnee war sie so langsam, dass die Fahrt zu Ende war, bevor Pinguine zum ›Umkegeln‹ überhaupt in der Nähe waren. Nummer zwei hatte eine besondere Schwierigkeit: Auf der Hälfte der Strecke war ein kleiner Hügel. Bei guten Bedingungen reichte der Schwung, um über die Kuppe zu kommen. Bei weniger guten Bedingungen, wie Schnee oder Gegenwind, blieb nichts anderes übrig, als aufzustehen und bis zur Kuppe zu Fuß zu gehen.

Bahn Nummer eins war die beliebteste der Bahnen. Ihre Eiswände waren am steilsten, sodass man in Kurven hoch hinaus getragen wurde und aus dem Kurvenscheitelpunkt schnell und scharf wieder in die Idealspur kam. Sie hatte auch ein wandfreies Stück, im unteren Bereich. Die Bahn kreuzte den Weg der Kaiserpinguine zum großen Wasser. Keiner hatte es bisher gewagt, einen Kaiserpinguin anzufahren. Man kam auch ganz gut an ihnen vorbei, weil sie immer in einer Reihe, mit gleichen Abständen, hintereinander watschelten.

Vor Generationen − keiner wusste wann oder wollte es selbst gewesen sein, − hatte ein Pinguin so viel Schwung, dass er in Pinguine, die unten standen, hineingerutscht ist. Ein neues Spiel war erfunden: Pinguinkegeln. Weil Pinguine kurze Beine hatten, war dabei noch nie etwas passiert. Alle waren sich im Klaren darüber, dass jeden Morgen die Kinder vom Hügel kamen. Beim Pinguinkegeln war der Start entscheidend. Das Rutschen auf dem Rücken, mit den Füßen nach vorn war das technisch schwierigste − der Doppeldreher. Der Doppeldreher, die Königsdisziplin des optimierten Ablaufs. Es ging darum, keine Geschwindigkeit durch Start und Rutschlage zu verlieren, um die besten Voraussetzungen für eine hohe Trefferzahl zu schaffen. Angelaufen, mit dem Schnabel voran, auf dem Bauch gelandet. In der dritten Kurve, bei Rutsche Nummer eins, wenn die Geschwindigkeit hoch genug war, musste man sich blitzschnell auf den Rücken drehen und die kurveninnere Flosse kurz und kräftig, möglichst weit vom Körper auf das Eis pressen. Die Drehung war eingeleitet. Mit beiden Flossenenden solange gegengesteuert, bis die Rutschlage wieder in der Fahrlinie war. ›Bis hierhin lief es perfekt.‹

Das Ziel beim Pinguinkegeln war es, so viele Pinguine, wie möglich umzuwerfen, ohne dabei übermäßig Schwung zu verlieren. Ein Volltreffer und er hätte die Reststrecke zu Fuß laufen müssen, was weitere Treffer unmöglich machte und sich negativ auf die Zeit auswirkte.

Es war wie alles im Leben. Für das, was er plante, brauchte Ekky die richtige Bahn, die richtige Technik, die richtigen Bedingungen und den richtigen Zeitpunkt und doch konnte immer etwas passieren, was nicht vorhersehbar war.

Die anderen Pinguine, die unten standen, kannten das Spiel, weil einige von Ihnen es selbst gespielt hatten, als sie jung waren, aber heute nicht mehr davon sprachen oder weil sie das ein oder andere Mal selbst umgekegelt wurden.

Ekky wurde immer schneller. Ihm war warm und seine Flossen kribbelten schon wieder. Er sah nicht hin. Er versuchte, es zu ignorieren. Die in Blau leuchtenden Flossen beim Aufstehen hatte er sich doch nur eingebildet. Oder?

Alle wichen vor ihm zurück. Manche schüttelten den Kopf, andere traten nur einen Schritt zur Seite, hoben ein Bein oder hüpften gelangweilt in die Höhe, so, dass Ekky unter ihnen durchrutschte.

›Kein Treffer heute. Das fängt ja übel an.‹ Er hatte genug Schwung, fast den ganzen Weg zu rutschen und ging die letzten Meter zu Fuß. Ein Pinguin war hinter ihm hergerutscht. Es war Retro. Er kam aus einer benachbarten Höhle und bevorzugte ebenfalls die Bahn eins. Auch er begann heute erfolglos, hatte aber einen begeisterten Gesichtsausdruck.

»Alter! Voll die coole Show!«, sagte Retro, der komisch sprach, um seinen guten, aber riskanten Rutschstil als seine Lebenseinstellung erkennbar darzustellen.

»Was meinst du?«, fragte Ekky und wunderte sich, dass Retro, der ein Einzelgänger war, überhaupt mit ihm sprach.

»Na den coolen, abgefahrenen, blauen Funkenflug, den du beim Rut- schen hinter dir hattest. Der ging voll steil.«

»Funkenflug?« Eigentlich wollte sich Ekky heute nicht mehr über sich wundern, ganz gleich, was passiere.

»Logo! Echt krass! Wie ein Mega-Gewitter, nur kleiner – und alles in Blau. Voll die lange Feuerfahne. Ich check noch, wie du das hinbe- kommst. Echte Flossenaktion. Das ist voll abgefahren und total magic, aber so was von mega-magic.«

Ekky schlug mit der Flosse auf die Flosse von Retro, der ihm seine gereicht hatte. Dann klatschten sie mehrfach mit beiden Flossen gegen die Flossen des anderen und sprangen mit dem Oberkörper gegeneinander. ›Pinghop‹ nannte Retro die Prozedur, die er behauptete, erfunden, gesellschaftsfähig und zu einem echten Trend gemacht zu haben. Erfunden mochte er es ja haben, aber durchgesetzt hatte sich das Begrüßungsritual bisher glücklicherweise nicht.

Ekky hatte ein mulmiges Rumoren im Bauch. Cool oder nicht: Irgendetwas lief ihm hier und heute aus der ›Flosse‹. Es gab keinen Grund zur Beunruhigung. Er funktionierte, wie jeden Tag. Ein kleines Glühen und der Funkenflug, den er selbst nicht gesehen hatte, waren nichts, worüber sich irgendjemand aufregen müsste. Ganz im Gegenteil. Vielleicht könnte das sogar irgendwie nützlich sein, solange er damit nicht aus Versehen Pinguine in Brand stecken würde. Es war eigenartig, aber vielleicht hatte es auch mit seinem Wachstum zu tun und jeder erlebte das irgendwann, ohne darüber zu sprechen. Dass ihm zuvor Feuer aus der Nase gekommen war, glaubte er selbst nicht. Er wusste nicht ein- mal mehr, ob dabei seine Augen geöffnet waren. ›Bloß keinen Stress am Morgen!‹, dachte Ekky. ›Der Tag wird schon noch langweilig genug werden, um sich wenigsten an ein paar juckende Funken zu erinnern.‹ Er ging zu seiner Tante.

Tante Maja stand in einer Gruppe erwachsener Pinguine und sprach mit ihnen in einem ernsten, aber zuversichtlichem Ton über diejenigen, die zum Fischfang unterwegs waren. »Keine Sorge, liebe Nachbarn. Rona und Bero haben eine Gruppe Schwertwale gestern nach Norden ziehen sehen. Die Wale kommen erst einmal nicht zurück. Auch die Seeleoparden sind alle weg.«

»Hier waren immer schon Seeleoparden«, sagte eine ältere Nachbarin.

»Warum sollten die so plötzlich verschwinden? Sie haben hier leider alles, was sie brauchen. So dumm können sie nicht sein. Das macht keinen Sinn.«

»Du hast recht«, sagte ein pensionierter Haudegen, dem eine Flosse fehlte. »Mit uns haben wir hier fünf Kolonien auf der Halbinsel. Hinzu kommt die Riesenkolonie der Kaiserpinguine im Hinterland und die zwei Robbenkolonien am Wasser. Ich muss es wissen. Ich war Reservist der ersten Verteidigungslinie und musste immer informiert sein.«

»Ich dachte, du warst Bademeister und hast den anderen zugerufen, wenn Gefahr im Wasser war«, sagte Maja.

»Zumindest ein einziges Mal muss er ja im Wasser gewesen sein«, sagte eine Freundin der Nachbarin und berührte an sich die Stelle mit der Flosse, an der er selbst mal eine hatte. »Oder er war wieder beim Wachdienst eingeschlafen und ein hungriger Seeleopard kam vorbeispaziert.«

»Das war eine Rettungs- und Befreiungsaktion, für die ich belobigt wurde. Es werden Geschichten über meine Tapferkeit vor dem Feind und meinen Heldenmut erzählt. Für die Anfänger im Regiment bin ich ein Vorbild, an dem sie sich orientieren können. Auch dann noch, wenn ich schon lange nicht mehr da bin, um sie persönlich zu unterrichten.«

»Vielleicht ist die Jagd für unsere Feinde woanders besser oder irgendwo ist ein Schwarm mit ihren Lieblingsfischen«, sagte die Nachbarin, ohne selbst daran zu glauben.

»Wovon träumst du? Hier ist der Tisch gedeckt. Bald sind die jungen Pinguine zum ersten Mal im Wasser. Die jungen Robben sind schon so weit. Besser geht es nicht, wenn man sich sattessen will. Es gibt einen anderen Grund, nur welchen? Die machen nichts ohne Grund. Es geht um mehr, als nur um die besten Jagdreviere«, polterte der Veteran.

Ekky hatte die Namen seiner Eltern gehört. Er war gespannt auf die Geschichten am Abend, wenn alle von der Jagd kämen. Er platzte in das Gespräch der Erwachsenen:

»Was gibt´s zum Frühstück, Tante Maja? Lass mich raten − vorgekaute Fische und Krebse − wie immer und zu jeder Mahlzeit. Warum sollte sich das plötzlich ändern?«

»Vortrefflich geraten, Ekky! Nun iss bitte!«

»Daran wird es liegen«, sagte der alte Pinguin, der in Fahrt war und Ekky als Hilfsmittel nutzte, um weiter reden zu können. »Die Feinde haben bestimmt gehört, dass unser Ekky bald ins Meer darf, und sind lieber vorher geflüchtet.«

Er lachte schäbig und er lachte allein. – Und er war noch nicht fertig mit seinen Versuchen, Ängste zu schüren. »Ekky, sag mal, wie willst du verhindern, dass wir alle von unseren Feinden niedergemetzelt werden? Willst du ihnen auf die Nase treten oder ihnen ein Kinderlied vorsingen, damit sie vor Angst wegschwimmen?«, sagte der greise Pinguin und gluckste beim Röcheln.

»Wer weiß?«, sagte Tante Maja »Vielleicht ist Ekky genau der Richtige. Vor dir scheinen sie ja keine besondere Angst gehabt zu haben, sonst hättest du noch beide Flossen.«

»Unverschämt!, ›Flossen‹, ich bin doch kein Fisch«, schimpfte der Alte und humpelte davon.

Maja blickte ihm kopfschüttelnd und etwas besorgt nach, drehte sich zu ihrer Nachbarin um und fragte »Seit wann humpelt dein Mann? Es war mir vorher nicht aufgefallen.«

»Seit jetzt. Er hat anscheinend vergessen, dass seine Beine völlig in Ordnung sind. Er macht das immer. Entweder will er wichtig sein oder er ist beleidigt und humpelt irgendwo hin, wo man seine Geschichten und Meinungen noch nicht gehört hat. Mir graust vor dem Tag, der hoffentlich lange nicht kommt, an dem er die Kolonie abgeklappert hat. Dann hockt er wieder zuhause und meckert den ganzen Tag. Direkt nach seiner Pensionierung ließ er mich Monate nicht aus den Augen und wusste alles besser.«

»Männer!«, sagte Maja und machte eine abfällige Bewegung mit ihrem ›Arm‹.

»Alte Männer!«, erwiderte die Ehefrau des greisen Besserwissers, der auch hier gerade nicht vermisst wurde.

Die Frauen lachten. Es war besser, über Männer zu lachen, als sie ernst zu nehmen und sich vielleicht auch noch den Tag verderben zu lassen, – oder sie zu bemitleiden.

»Ekky, iss!«, sagte Tante Maja. »Damit du auch so ein Prachtexemplar von Mann wirst.«

Es war natürlich das gleiche Essen, das er immer serviert bekam. Hochgewürgt und noch warm. Es roch wie etwas Vertrautes, auf das man gerne verzichten würde, aber es vermissen, wenn man es nicht mehr hätte. Die kleinen Fische und Krebse waren im Brei zu erkennen. Während Ekky aß, hielt seine Tante Ausschau nach Möwen, die begierig darauf waren, sein Essen zu stehlen. An Maja kam niemand vorbei.

Sie war bewaffnet mit Schneebällen. Die Möwen hatten ihre Treffsicherheit mehrfach erfahren dürfen und hielten Abstand. Sie kreischten in gieriger Aufregung und flatterten in der Luft auf der Stelle. Es gab unter den Möwen Spezialisten: ›Dreiste Schleicher‹. Das waren Möwen, die, als gehörten sie zur Nachbarschaft, zu Fuß unterwegs waren. Sie gingen betont unscheinbar und desinteressiert durch die Pinguinreihen, bis sie einen freien Brocken Futter sahen, auf den sie sich stürzten und eilig davonflogen.

»Jammert nur, wenn andere die Arbeit für euch erledigen sollen«, rief Maja den rumkreischenden Möwen verächtlich zu.

Nach dem Essen setzte sich Ekky kurz auf das Eis, um zu dösen. Das war für Pinguine üblich.

»Erst den Schnabel mit Wasser putzen und ...«

»Ja, ja, Tante Maja«, sagte Ekky mit betont unbetonter Stimme, »das Gurgeln nicht vergessen.« Er schlurfte zu einer Stelle, an der mehr Schnee lag. Dort schaufelte er ihn in den Schnabel und wartete, bis er zu Wasser geschmolzen war. Er schüttelte dann mit geschlossenem Schnabel den Kopf hin und her und auf und ab, als sei er von irgendetwas gestochen worden. Das Gurgeln ließ er weg, weil es bei allen Pinguinen albern aussah. Nach dem kurzen Nickerchen, inmitten der anderen Pinguine, watschelte Ekky durch die Kolonie. Es war eine Kleinstadt mit dreißigtausend Einwohnern. Ohne Häuser, wenn man die abseits gelegenen Wohnhöhlen außer Acht ließe. Damit es weniger Anlass zu Streitigkeiten zwischen den Nachbarn gab, führten Wege durch die Wohnbereiche. Diese waren nicht gekennzeichnet, aber jeder ist sie schon gegangen. Am besten konnte man sie morgens, nach einem Schneefall sehen. Der Schnee auf den Wegen und Straßen war schon früh plattgetreten, während die Pinguine auf ihren Grundstücken zum Teil noch eingeschneit waren. Im Laufe eines jeden Tages war dann alles plattgetreten.

Die meisten Pinguine waren beim Fischfang und diejenigen, die in der Kolonie blieben, waren unpässlich, durch andere Tiere im großen Wasser verletzt, oder sie waren damit beschäftigt, die Kinder zu füttern. Einige saßen sogar noch auf Eiern und brüteten diese aus. Sie waren spät dran, denn wenn die Babypinguine schlüpften, wäre der Winter nicht fern. Ekkys Kolonie hatte Glück, dass sie die Höhlen hatte, in denen es wärmer war.

Alte Pinguine gingen nicht mehr zum Fischen. Sie galten als wandelnde Geschichtsbücher. Diejenigen, die verletzt vom Fischfang zurückkehrten, waren Helden. Der alte Veteran, der von Maja und den anderen Frauen veralbert wurde, war eigentlich auch ein Held. Er hatte es über die Jahre aber irgendwie geschafft, sich so unbeliebt zu machen, dass er zwar im Gespräch geduldet war aber jedes Mal, wenn er anfing, das Gespräch an sich zu reißen, von den Frauen gebremst wurde.

Es kam beinahe täglich auch vor, dass jemand nicht vom großen Wasser zurückkam. Darüber wurde wenig gesprochen. Warum auch. Sie konnten nicht anders überleben, als im Ozean zu jagen. Alles hatte sein Risiko. Hier war es relativ eindeutig das Risiko, den eigenen Hunger und den seiner Familie mit dem Leben zu bezahlen. Entsprechend hoch war das Ansehen der Helden, die einen Angriff überlebten. Sie erzählten von ihren Erlebnissen. Einige der Geschichten waren so gruselig, dass kleine Pinguine sie nicht, oder zumindest nicht vor dem Schlafengehen, zu hören bekamen. Später wurden dieselben Geschichten genutzt, um den heranwachsenden Pinguinen Respekt vor dem Ozean und seinen Gefahren abzuringen, um sie darauf zu sensibilisieren, dass sie schon bald selbst ihr Leben riskieren würden. Die Geschichten handelten von Abenteuern, gefährlichen Begegnungen und wie man sich in welcher Situation zu verhalten hätte.

Eine neuere Serie von Geschichten passte nicht ins Bildungssystem. Es ging um die Sorge, dass ein böser, zaubernder Fürst die Bewohner der Antarktis vertreiben werde oder sie zwingen werde, das zu tun, was er ihnen befahl. Sie sprachen davon, dass der Fürst Zauberkräfte besaß und seine Gefolgschaft an Untertanen ständig wachse und aus Millionen stinkenden, mit Zähnen vollgepfropften Mäulern bestand. Über den Fürsten sagten sie grausame Sachen. Sogar dass er Pinguine esse, um sich seine Zauberkraft zu erhalten und sie noch weiter zu steigern. Das Böse nährte das Böse, auf einem Weg der kein Ziel kannte oder die eigene Auflösung in was auch immer hatte. Gefangen in einer Zeitschleife? Die nächste Stufe? Ein Finale? Eine Belohnung? – Von wem? Ekky hielt die Geschichten für maßlos übertrieben. Warum sollte jemand so handeln? War es immer gleich das Böse, wenn jemand Opfer einer Handlung wurde, die sich das Opfer nicht erklären konnte? Dennoch ließen ihn diese Geschichten nicht los. Er liebte diese gefährlichen Geschichten, bei denen ihm das Blut in den Adern gefror und seine

Schultern und sein Rücken kribbelten, ohne, dass das mit irgendwelchen Blitzen zu tun hatte oder er akuten Funkenflug hatte. So gern er die Geschichten auch hörte, im Kern waren sie gleich. Es ging immer um die Guten gegen das Böse, Licht gegen Dunkelheit, klein gegen groß. Auch die Adelstitelei in den Geschichten war sonderbar. Wieso sollte ein Fürst ihn beeindrucken, wenn in seiner entfernten Nachbarschaft eine Kolonie mit über einhunderttausend Kaiserpinguinen lebte. Ein Fürst gegen alle Kaiser, die keinen Anführer hatten und doch jeder ranghöher gegenüber einem einzelnen Fürstchen war?

Das große Wasser, der Ozean, das Eismeer – für Ekky das große Unbekannte. Alle sprachen davon, aber nur die erwachsenen Pinguine kannten es. Wahrscheinlich war es so geheimnisvoll, weil es so groß war. Keiner kannte den Anfang und keiner hatte je das Ende gesehen. Einige sprachen davon, dass das Wasser bis dorthin reichte, wo es viel wärmer war, als an dem Ort, an dem er lebte. Sie sagten, dass Licht und Farben sich ändern würden und dass dort andere Tiere lebten. Alles, was er über das große Wasser erfahren hatte, war, dass es groß sein musste. Er würde es bald kennen lernen. Nicht sofort, aber bald, wenn die Zeit gekommen sei. Dort, im großen Wasser schien es zwar aufregend, aber auch gefährlich zu sein.

Bis zu dem Zeitpunkt, an dem er endlich selbst jagen dürfe, vergnügte sich Ekky mit seinen Freunden auf dem Eis. Sie erkundeten täglich die direkte Umgebung ihrer Kolonie und taten so, als würden sie das, was sie schon kannten, zum ersten Mal sehen.

Ekky ging an einigen Halbstarken vorbei. Das waren Pinguine, die beinahe erwachsen waren und in einigen Wochen ebenfalls am Fischfang im großen Wasser teilnehmen würden. Die Halbstarken bildeten immer Gruppen von dreißig bis vierzig Pinguinen, von denen der größte und stärkste der Anführer war. In dieser Gruppe, an der Ekky gerade vorbeiwatschelte, hieß der Anführer Rocky. Meistens standen sie rum, zeigten sich ihre Muskeln, lachten und schnattern über all das, was sie nicht kannten. Mädchen waren selten in diesen Gruppen zu sehen.

Rocky drehte sich zu Ekky um. »Hey, Breitschnabel! Gehst du wieder mit den anderen Kleinen spielen?«

»Was denn sonst!«, sagte Ekky und würdigte Rocky nicht eines Blickes.

»Wir machen heute Abend Party. Das wird megafett. Komm doch auch. Ach nein, du hast ja etwas Besseres vor. Du liegst ja dann schon mit den anderen Stinkern in der Höhle und schläfst, wie jeden Abend. Dir entgeht was.«

Leider hatte Rocky recht. Als Trost stellte Ekky sich Tante Maja vor, wie sie Rocky wegen seiner ungepflegten Ausdrucksweise zurechtweisen würde. ›Party machen!‹ Von seinem Bruder hatte Ekky gehört, dass das, was Rocky als ›Party machen am Abend‹ bezeichnete, nichts anderes war als das, was sie den ganzen Tag veranstalteten. Sie durften das außerhalb der Kolonie treiben, da abends, außer ein wenig Geschnatter, Ruhe herrschte. Dennoch. Es wäre eine Abwechslung gewesen.

Ekkys Bruder Spot war komplett anders. Er fand das Benehmen der Halbstarken ›kindischer als Kinder, nur nicht so unschuldig‹, wie er jedes Mal sagte, wenn er zu Besuch war. Spot war immer freundlich, fluchte nur selten und hielt nichts von lauter Angeberei. Er wohnte schon eine ganze Weile nicht mehr zuhause, aber er kam häufig vorbei. Einmal in der Woche kam er zum gemeinsamen Familienessen. Danach traf er sich mit alten Freunden in der Kolonie. Die meisten von ihnen waren schon verheiratet und hatten Kinder. Spot nicht. Er sagte immer, er sei noch nicht bereit für eine feste Bindung und die ganze Verantwortung. Stattdessen lebte er mit Freunden nicht weit von der Kolonie entfernt und ließ sich die Sonne auf den roten Bauch scheinen. Seine Lebensweise verstand nicht jeder. Spot wäre auch der Einzige, mit dem Ekky über seinen Funkenflug und das Kribbeln mit dem Leuchen gesprochen hätte, wenn Ekky es unbedingt gewollt hätte und es in den nächsten Tagen nicht von allein wegginge.

Ekkys Lebensweise war die Wiederholung vom Vortag und vom Tag davor. Zumindest hatte er seine Freunde in der Kolonie, mit denen er jeden Tag verbrachte, was das einzig Gute an den Wiederholungen war. Seine Freunde waren eine eingespielte Clique. Sie kannten sich von Klein auf. Keiner ging aus der Gruppe raus und keiner kam hinzu. Es wäre vielleicht spannend gewesen, neue Leute dabei zu haben, aber so wussten sie, was sie aneinander hatten und einige Dinge funktionierten zwischen ihnen, ohne, dass sie darüber gesprochen hätten. Neue Dinge wären interessant, brächten aber auch ungewollte Unruhe in den langweiligen Alltag.