Das Licht von Dragomar 1
Kapitel 5

Das Licht von Dragomar Kapitel 5

ERSTER TEIL: ZUHAUSE

 

 

SPOT UND DIE KOMMUNE

Ekky lief, so schnell er konnte zu seinem Bruder, um ihm von dem seltsamen Erlebnis zu erzählen. Sein Bruder stand im hüfttiefen Wasser und fischte. Ekky kam angerauscht und legte eine Vollbremsung in den Kies, der dort lag. »Hallo Spot!«, rief er aufgeregt.

Obwohl Pinguine einer Art immer gleich aussehen sollten, war auch Spot ein wenig aus der Art geschlagen. Er war komplett schwarz mit einem großen, roten Fleck mit einem gelben Rand auf dem Bauch. Spot war genauso groß wie alle, seine Stimme klang ähnlich wie die der anderen, die Schnabelform, das Gesicht, alles sah gleich aus, nur er hatte kein weißes Gefieder am Bauch, sondern rotes. Mit dem roten Punkt wäre es zu gefährlich für ihn, im großen Wasser zu jagen, weil er weithin sichtbar sei. Da er keine Fische aß, aber Krebse und Krabben, obwohl er sich eigentlich nur von Grünzeug ernähren wollte, hatte er sich einen Wohnort gesucht, der einen kleinen, eisfreien Strand aus Kieseln hatte. Er lag am Ende eines langen, eisfreien Kanals, der zum großen Wasser führte. Der Grund dafür, dass der Kanal nicht zufror, lag darin, dass das Wasser hier etwas wärmer war. Genau so, wie bei Ekkys Badeteich, war auch hier eine kleine, warme Quelle. Das Wasser war nicht tief genug für große Feinde aber tief genug für Krebstiere.

Spot wohnte in einer Kolonie von nur etwa dreihundert Pinguinen, die, wie sie sagten ›Im Einklang mit der Natur‹ lebten. Am liebsten hätten sie sich alle ausschließlich von Pflanzen ernährt. Davon gab es aber zu wenige, um satt zu werden. In dem warmen Wasser wuchsen einige Algen, die essbar waren. Spots Freunde waren allesamt nett. Als kleiner Pinguin saß man zwischen ihnen und hatte nie das Gefühl, ein Kind zu sein, sondern wurde ernst genommen und es wurde einem zugehört. Das heißt nicht, dass sie Ekkys Meinung immer teilten. Aber es wurde alles diskutiert, egal wie unwichtig oder wie falsch es war.

Spot stand bis zur Hüfte im Wasser und fing kleine Krabben mit dem Schnabel, als Ekky bei ihm eintraf.

Aus Ekky platzte es sofort heraus: »Ich kann leuchten.«

Spot hatte den Schnabel noch im Wasser, war mit den Gedanken woanders und erschrak ein wenig, weil er Ekky nicht hat kommen sehen oder hören. Er zog seinen schwarzen Schnabel, in dem er eine Garnele festhielt, aus dem Wasser, bevor er einmal kräftig zubiss und sie in hohem Bogen zu den anderen an den Kiesstrand warf.

»Leuchten ist super. Kann man immer gebrauchen.«

»Nein, wirklich. Ich kann leuchten.«

»Das ist cool. Wir können mit dir Nachtangeln.«

»Spot, bitte!«

»Nein, im Ernst. Kleine Tintenfische finden Licht super bei Nacht. Dann müssen wir nicht auf die Sonnenwende im Sommer warten. Wir halten dich kopfüber an den Füßen ins Wasser und warten ab, was passiert.«

»Spot, bitte sag was Vernünftiges.«

»Vernünftig? Ich weiß: Pass auf, dass die Nachbarn das nicht mitkriegen. Die mögen nichts Neues. Das schreckt sie ab. Und anders, als beim Nachtangeln, solltest du keinesfalls im Dunkeln unter die Leute gehen. Such dir irgendwo ein einsames Plätzchen und leuchte vor dich hin. Keine Sorge, du wirst immer mein Bruder bleiben. Ich halte zu dir, auch wenn du dich in einen leuchtenden Riesen verwandelst oder ein Superpinguin wirst.«

»Spot!«, schimpfte Ekky, so energisch es ging.

»Schreck lass nach! Das klang wie Maja. Also gut, das mit den Nachbarn war nicht fair. Was für ein Leuchten meinst du? Hey, du bis ja gewachsen und nicht zu knapp. Wir haben uns doch erst vor ein paar Tagen gesehen. Aber bleiben wir beim Leuchten. Erzähl mal!«

Ekky erzählte seinem Bruder von seinem Erlebnis. Doch der schaute nur freundlich. Etwas gelangweilt sagte der große Bruder zu Ekky: »Das ist wirklich interessant.«

»Spot, du weißt es selbst nicht.«

»Das stimmt«, antwortete Spot. »Alles kann man nicht wissen. Ich glaube dir, dass du geleuchtet hast oder es zumindest glaubst. Vielleicht hast du zu viele Leuchtgarnelen gefuttert und die leuchten jetzt noch in deinem Bauch. Komm erst einmal her und fang mit deinem breiten Schnabel ein paar Krabben. Zu irgendetwas muss der doch zu gebrauchen ein. Wir essen sie mit einem Salat aus Algen. Mein Ehrenwort: Heute Abend werde ich in unserer Kommune über dein Leuchten sprechen und wir werden unsere Gedanken und Ideen austauschen. Vielleicht kommt etwas dabei raus – oder alle wollen mit dir Nachtangeln.«

Das dauerte Ekky schon vom Zuhören zu lang. »Aber sag doch, wer kann mir denn wirklich etwas darüber erzählen?«

»Ach vergiss das doch erst einmal«, sagte Spot. »Entspann dich! Spüre die Liebe und die Freiheit, die in der Luft liegt. Du wirst vielen Dingen begegnen, die du noch nie gesehen oder erlebt hast und die du dir nicht erklären kannst. Mach dir keinen Stress mit Ereignissen. Bleib locker und wunder dich nicht. Denk lieber über Inhalte nach.«

»Spot, bitte! Du redest dich schon wieder raus.«

»Ganz ehrlich, ich weiß es nicht. Von uns hier weiß es sicher niemand. Das wäre schon längst Teil eines Diskussionsabends gewesen. In der Kolonie wird man dir auch nicht helfen können. Es gibt wahrscheinlich nur einen auf der ganzen Welt, der dir sofort viele deiner Fragen beantworten kann. Das ist unser Großvater Eremides. Der weiß das sicher. Wenn nicht, weiß es auch kein anderer.«

Das hatte gesessen. Ekky kannte den Namen Eremides. Die älteren Pinguine sprachen häufig von ihm. Meistens sprachen sie mit Bewunderung aber immer auch mit etwas Scheu und Distanz. Dass er sein Großvater sein sollte, war neu. Niemand hatte ihm was gesagt – bis jetzt.

»Ich habe ihn selbst erst ein einziges Mal gesehen«, sagte Spot. »Nachdem du aus dem schwarzen, goldgesprenkelten Ei geschlüpft bist, beugte Eremides sich zu dir runter, legte seine Flosse um dich und sagte voller Liebe: ›Herzlich willkommen in der Welt, kleiner Eccintes. Ich wünsche dir ein schönes Leben und dass du jeden Tag lieben wirst‹. Dann ist er wieder abgereist. Zu mir war er auch nett, aber anders.«

»Eccin was?«

»Seitdem hat uns Opa Eremides nie wieder besucht und ich war auch noch nie bei ihm zu Hause. Wenigstens hat er uns Tante Maja dagelassen, um jegliche Form von Ausschweifung, Unordnung und schlechtem Benehmen zu unterbinden«, sagte Spot mit einem breiten Grinsen.

»Spot! Keine Witze! Du hast mir gerade gesagt, dass wir beide einen Großvater haben und ich scheine der Einzige zu sein, der nichts davon weiß. Nicht einmal du hast mir vorher davon erzählt. Gib´s zu. Dir ist es eben auch nur rausgerutscht, sonst hätte ich es auch heute nicht erfahren.«

»Ich hatte doch vorher, bevor er dich besuchte selbst keine Ahnung, dass es ihn gibt«, entschuldigte sich Spot vehement und selbst betroffen. »Es war eigenartig. Er kam mit Maja angerauscht, von der ich vorher auch nichts wusste, sah dich, brachte seinen Spruch, sah mich an, als würde ich eine Verbrecherkarriere starten wollen, klopfte unseren Eltern auf die Schultern und ließ die fremde Tante da. Danach wollten alle, dass ich nicht mit dir darüber spreche. Das wollten sie irgendwann machen.«

»Was macht er und wo wohnt er?«, wollte Ekky wissen. »Ist es weit von hier? Warum kommt er nicht zu Besuch?«

»Eremides ist ein weiser, kauziger alter Pinguin, der im Berg der Hoffnung, eine Schule, eine Bibliothek und ein Museum hat. Dort wohnt er und verlässt den Ort fast nie. Es besuchen ihn Tiere, um im Berg der Hoffnung Dinge zu erfahren, die sie sich nicht erklären können.«

Ekky war außer sich: »Warum hat mir keiner etwas davon gesagt?«

»Es wird nicht viel gesprochen aber viel unnützes Zeug geplaudert und über die Nachbarn getratscht. Damit sind alle genug beschäftigt; den ganzen Tag.«

»Warum heißt der Berg eigentlich Berg der Hoffnung?«, fragte Ekky seinen Bruder.«

»Den Namen trägt er erst, seitdem die große Insel zerstört wurde. Es gibt die alten Geschichten von einer blühenden Zivilisation, in der es keine Kriege gab. Vielleicht ist der Berg das Symbol der Hoffnung auf Frieden und Harmonie.«

Spot fuhr mit seiner Beschreibung fort: »In der Bibliothek soll es eine grandiose Sammlung von Büchern geben. Viele Bücher sind von Tieren geschrieben oder gemalt. Mit Bildern und Schriftzeichen wird versucht, das Wissen der Welt zusammen zu tragen. Was man noch nicht weiß, versucht man herauszufinden, zu erforschen, um es dann wieder für andere aufzumalen und zu beschreiben. Die Besucher bleiben aber nur einige Zeit. Dann gehen sie wieder nach Hause, um das erlernte Wissen weiter zu verbreiten und weiter zu forschen. Der Berg der Hoffnung ist ein friedlicher Ort, der von Gefahren umgeben ist. Man sagt, dass eine alte Macht – frag mich bitte nicht wer und warum, ich weiß es wirklich nicht – den Berg erobern will, um ein Schreckensreich aufzubauen. Ich wollte selbst mal dahin reisen. Aber du weißt ja, wie das ist. Mir ist immer etwas dazwischen gekommen. Arbeit, Verantwortung, Freundin. Jetzt wäre es mir dann doch zu gefährlich.«

Spots Gesichtsausdruck veränderte sich. Er blickte streng und besorgt tief in Ekkys Augen. »Aber für so kleine Pinguine wie dich ist die Reise zum Berg der Hoffnung in jedem Fall viel zu weit und zu gefährlich«, sagte er ermahnend, mit erhobener Flosse. Er ahnte, dass ihre Eltern und Tante Maja schnell einen Schuldigen gefunden hätten, wenn Ekky mit neuen Ideen ankäme.

Trotz der Warnung seines Bruders, war Ekky fest entschlossen, viel mehr über seinen Großvater Eremides, aber auch über den Berg der Hoffnung zu erfahren, und er wollte, sich sofort auf die Reise dorthin machen. Aber wo war er dieser seltsame Berg? Wie konnte er dahin gelangen und was würde ihm auf seiner Reise begegnen? Er beschloss, zuerst die Frage des Ortes zu klären.

»Wo ist denn dieser komische Berg der Hoffnung, wenn es den überhaupt gibt?«, fragte er seinen Bruder, scheinbar etwas gelangweilt, damit seine Neugierde nicht so leicht zu erkennen war. Das Ergebnis kam schneller als erwartet.

»Der Berg der Hoffnung ist der höchste und größte Berg weit und breit. Man muss weit durch das große Wasser schwimmen, um zu der Insel mit dem Berg zu gelangen. Am Gipfel des Berges strahlt manchmal ein seltsames Licht.«

»Das ist der Berg der Hoffnung?«, rief Ekky erstaunt und gleichzeitig froh. »Den hab ich schon gesehen, von da oben.« Er zeigte mit einer Flosse in Richtung der Hochebene, von der er gerade herabgestiegen war. »Von dort aus habe ich ihn gesehen, den Berg.«

»Waaaas?«, schnaubte Spot. All das, was er in langen Diskussionsrunden über Kindererziehung gehört hatte, war auf einen Schlag vergessen. Plötzlich verfiel er in das klassische Rollenbild eines besorgten Erwachsenen, der mit Vorwürfen Schadensminderung für zukünftige Ereignisse zu betreiben versuchte, aber eigentlich nur seine Ohnmacht über den Schock auslebte. »Da oben warst du ganz allein? Wissen denn unsere Eltern davon? Hast du Tante Maja gefragt? Das hätte sie nie erlaubt, niemals«

Spot machte eine heftige Bewegung mit dem Oberkörper. Seine Muschelkette, die er um den Hals trug, flog von links nach rechts, hin und her. Allen in der Kommune hing etwas um den Hals. Muscheln, kleine Seeschwämme, kleine Steine oder sonst etwas, was klein war und sie irgendwo gefunden hatten. Er sollte ihre Beziehung zu sich und zum Universum und den Einklang mit der Welt zeigen, wie sie behaupteten. Spot war noch sprachlos, aber er würde es nicht lange bleiben.

Ekky hatte überhaupt keine Lust, sich jetzt auf ein typisches großer Bruder, kleiner Bruder-Gespräch einzulassen und rief hektisch in die Stille, als hätte er Spot nicht richtig verstanden: »Ich muss los! Mama und Papa sind bestimmt schon da. Ich geh´ nach Hause.«

»Gute Idee«, antwortete Spot, der selbst vor seiner fordernden und bestimmenden Art erschrocken war. »Grüß unsere Eltern und Tante Maja. Ich komme wahrscheinlich übermorgen mal zum Essen vorbei.« Ekky hatte gehört, was er wissen wollte. Sein Entschluss, seinen Opa im Berg der Hoffnung zu besuchen, stand fest und er stapfte sofort mit entschlossenen, kleinen Pinguinschritten los − zunächst nur nach Hause. Seine Eltern waren wohl schon vom Fischfang zurück. Er konnte sich vorstellen, was sie von seinen Planungen halten würden. Immer, wenn er etwas vorhatte, das seine Eltern und seine Tante ihm ausdrücklich verbieten würden, sprach er zunächst mit Spot. Manchmal schon

war das hilfreich.

›Es gibt Projekte‹, sagte Spot häufig, ›die muss man gut vorbereiten und umsetzen‹.

Spot reagierte zumeist so, wie Ekky es von seinen Eltern erwarten würde, aber in den Diskussionen mit seinen Freunden in der Kommune, wurden häufig Argumente gegen ein »Nein!«, oder »Wir verbieten!«, gefunden. In diesem Fall erschien die Erlaubnis der Eltern aussichtslos zu sein.

Auf seinem Weg nach Hause traf Ekky einige Pinguine aus der Kommune von Spot.

»Hey, großer Mann, bleibst du zum Essen und Chillen?«

»Nein, ich muss nach Hause.«

»Lass dich nicht unterkriegen, du bist etwas Besonderes«, rief Woldo, der so etwas wie der Wortführer in der kleinen Kommune war. Er schaukelte in einer Hängematte, die zwischen zwei großen Eisblöcken aufgespannt war. Woldo hatte, auf seinen Tauchgängen im großen Wasser, ein versunkenes Segelschiff, wie er es nannte, auf dem Grund gefunden. Er brachte manchmal Material von dem Schiff mit, wie Seile und Segeltuch − genau richtig für eine Hängematte. Handwerklich war Woldo geschickt. Er baute immer irgendetwas, wenn er sich nicht gerade über das zuletzt gebaute Werk wie ein kleiner Junge freute, aber sofort überlegte, wie er es verbessern könnte, ohne es gänzlich zu zerstören.

»Wie wir alle etwas Besonderes sind«, sagte seine Freundin Raudy zu Woldo.

»Darum liebe ich dich«, erwiderte Woldo, der immer das letzte, kluge Wort haben wollte.

Als Zeichen ihrer Liebe hatten sie beide einen ähnlichen Stein um den Hals gebunden. Nur dass der von Waldo kugelrund war und mehr braun, als grau und das Licht, wie Eis, hindurch ließ. Es war kein Loch in dem Stein. Er war gefasst in etwas, mit einer eckigen Hülse dran, als könne man da etwas hineinstecken. Raudys Stein war mit dem dünnen Material umwickelt, das auch die Hängematte zwischen den Eisblöcken hielt. Zu Raudy hatte Ekky eine besondere Beziehung, ohne dass es eine Beziehung war. Raudy war immer gut gelaunt, ohne dabei laut zu werden. Sie korrigierte Woldo, wenn seine Ideen — von denen gab es viele — überhaupt nicht praktisch waren. Woldo baute Dinge, die sich im Wind drehten und er war begeistert, dass sie sich drehten, ohne dass er sie bewegen musste. Raudy war anders. Sie war wild und hatte Spaß. Sie liebte Woldo und nannte das ihr Schicksal. Alle männlichen und weiblichen Pinguine sahen ihr nach, wenn sie vorbeiging. Sie sah besser aus als jeder Durchschnittspinguin. Vor allem erhellte ihre Art, mit anderen zu sprechen und sich für alles zu interessieren, ihre Umgebung. Jeder, mit dem sie gesprochen hatte oder an dem sie nur vorüber ging, fühlte sich ein wenig besser. So auch Ekky. Das Problem war Woldo. Er war nett und Ekky würde niemals Raudy näher kommen, um ihn nicht zu verletzen. Die Gefahr war ohnehin nicht groß, da Raudy in Ekky ein Kind sah und sie ihn nutzte, um Woldo zu dem Wunsch zu bringen, mit eigenen Kindern etwas zu unternehmen. Woldo hatte den

Plan noch nicht mitbekommen. Zu sehr war er in seine Experimente vertieft.

 

»Aaaarrrgh!«, schrie jemand, den Ekky nicht sehen konnte. Es musste etwas Schlimmes passiert sein. »Aaaarrrgh!«

»Wer ist das? Wo ist er? Wir müssen ihm helfen.«

»Dem ist nicht mehr zu helfen«, sagte Woldo. »Das ist Slowy. Er schreit einen Eisblock oder einen Stein an.«

»Warum? Welche Probleme hat er mit denen?«

»Das ist Teil seines Anti-Aggressionstrainings. Er lässt seine Wut raus, damit er sich besser kontrollieren kann.«

»Slowy war doch noch nie aggressiv«, sagte Raudy. »Er ist der ruhigste und ausgeglichenste Pinguin, den ich kenne.«

»Wer weiß?«, sagte Woldo. »Vielleicht waren ihm seine Ruhe und Ausgeglichenheit zu langweilig und er will es mal richtig krachen lassen

− für seine Verhältnisse.«

»Aaaarrrgh! Hua, hua!«, schloss Slowy seine Schreierei ab.

»Oh nein«, sagte Woldo. »Ich weiß jetzt schon, dass er uns nachher erzählt, wie befreit er sich fühlt und welche Stärke er in sich gespürt hat und dass er sich dafür schämt, seinem Verlangen nach Brutalität so nachgekommen zu sein.«

»Spinnst du?«, sagte Raudy? »Er ist doch nie wild. Er ist nicht einmal enttäuscht, wenn keiner beim Pantomimespielen errät, was er darstellt.«

»Er braucht seinen Ausgleich. Das ist wichtig für ihn. So wichtig, wie für uns beide die Steine, die wir tragen. Es sind zwar nur kleine Steine, aber sie haben eine Bedeutung für uns, wie eigentlich alles eine Bedeutung hat.«

»Sobald du von zu Hause wegdarfst, kannst du jederzeit bei uns wohnen. Wir haben tolle Pläne. Das müssen wir natürlich noch alles ganz genau besprechen. Aber vielleicht bauen wir uns Unterstände gegen den Schnee und einen Schutz vor dem Wind.«

»Wie wollt ihr das denn machen?«, fragte Ekky.

»Aus dem Zeug, aus dem diese Hängematte ist. Es gibt viel größere Stücke. Die liegen da alle noch am Meeresgrund. Wir müssen sie nur rausholen und bearbeiten.«

Da kam Slowy um die Ecke vom Eisblock. Er lächelte freundlich.

Ekky verabschiedete sich und ging. Auf eine Schreigeschichte hatte er heute keine Lust. Dafür hatte er selbst heute zu viel erfahren und erlebt.

»Leute, ich kann euch sagen: Das Schreien hat eine befreiende Wirkung. Den ganzen Druck und die Wut einfach herausschreien. Es dreht sich alles und ich sehe ganz andere Farben«, legte Slowy los.

»Dir ist schwindlig, weil dir beim Brüllen fast der Kopf geplatzt ist«, war das Letzte, was Ekky von Woldo hörte.

 

Ekky war gern in der Kommune seines Bruders. Alle waren nett, entspannt und hatten auch nicht ihre eigenen Grundstücke, die sie gegenüber den Nachbarn verteidigten. Sie teilten alles und sprachen sehr viel. Es gab nie Streit aber immer Diskussionen. Manchmal feierten sie Feste, deren Anlass sie sich ausgedacht hatten. Ein Sonnenfest, eine Algenwoche, das Fest der Freundschaft. Besucher, außerhalb der nächsten Verwandtschaft hatten sie selten. In der Pinguinkolonie galt die Kommune als unfein, nicht integrierbar und faul.