dogs’ talks

Die Hunde treffen sich jeden Tag um die gleiche Zeit, zum Gespräch, im Englischen Garten in München. Bei jedem Wetter. Unweit vom Biergarten und der Blasmusik am Chinesischem Turm, auf der Wiese. Sie sind sehr verschieden, nicht nur in ihrem Aussehen und ihrem Verhalten. Alles wird besprochen und kommentiert. Urlaub, Job, Politik, Hundehaltung, Bier, Fahrräder, Wetter, Pudel und Katzen. Kein Thema wird ausgelassen.

Personen

Paulchen

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Ich wohne in Bogenhausen, genauer gesagt Alt-Bogenhausen, es ist nett dort. Das Haus ist klein, aber hat einen ganz kleinen Garten. Meine Familie hat das Haus geerbt und wusste nicht, wie sie die Erbschaftssteuer zahlen sollte. Ja, hier ist alles teurer geworden. Ich hatte Glück.

Sie haben mich auf Ihrem Familienurlaub in Spanien gefunden. Ich lag angefahren von irgendetwas, was ich nicht hatte kommen sehen, im Straßengraben. Sie brachten mich zum Tierarzt, der mich gerettet hat. Einiges tut immer noch weh. Aber am meisten schmerzt, dass mich meine vorherigen „Besitzer“ aus dem Auto geschmissen hatten, als sie mich nicht mehr besitzen wollten. Ich lebte ein Jahr auf der Straße und hatte Angst. Darüber spreche ich eigentlich nie. Auch nicht mit meinen neuen Freunden auf der Hundewiese. Man weiß ja nie, wann etwas Schönes wieder vorbei ist. Jedenfalls hat mich meine neue, richtige Familie in dem gemieteten Ferienhaus drei Wochen aufgepäppelt, dass ich wieder gehen konnte und sogar zugenommen hatte. Das Ferienhaus, die Finca hatten sie mit zwei befreundeten Familien gemietet. Sechs Erwachsene, fünf Kinder. Ich lag mit meinem Verband auf der Veranda und war immer irgendwie betreut und dabei.

Soviel Liebe hatte ich noch nie erlebt und wusste, dass es einmal enden musste. Aber nur der Ort hat sich geändert. Wir fuhren dann noch einmal in Spanien zum Tierarzt und dann die weite Strecke nach München. Wir fuhren durch Tunnel und über Berge. Ich saß mit der Tochter auf der Rückbank und hatte meine Nase am nur einen Spalt weit geöffneten Fenster. Jeder Ort roch anders und ich konnte mein Glück nicht fassen. Ich bin sehr oft im Englischen Garten oder wir fahren in die Berge oder gehen in einen anderen Park oder nur ein wenig spazieren. An der Isar gefällt es mir besonders. Hauptsache, ich bin bei meiner Familie, am besten alle zusammen – dann ist es egal, wo wir sind. Ich bin Carlos. Jetzt heiße ich Paulchen und ich bin glücklich.

George IX

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Wir sind wieder spät dran. Mein Herrchen wollte unbedingt das Riesenbier schon vor dem Parkbesuch zischen. Zischen war so eine Sache. Ein Liter trinkt sich nicht von alleine. Schon gar nicht, wenn ein unbekanntes Weibchen am Tisch sitzt und Herrchen sein ganzes Paarungspaket auspackt. Nein, er hatte sich nicht entblößt, er ist ja kein Hund. Er balzte, wie man das sonst nur von den Pfauen im Englischen Garten kennt.

Der Englische Garten, meine Heimat. Ich wohne zu Hause, aber hier bin ich zuhause. Glücklicherweise fast jeden Tag. Manchmal länger, manchmal kürzer. Mein größter Stress mit Herrchen ist, wenn er wieder gehen will. Er zählt meine Toilettengänge. Tatsächlich. Da ist manchmal Anhalten die einzige Lösung, selbst wenn mir das Auge zuckt und die Kopfhaut flattert. 

Man könnte meinen, ich sei am liebsten auf der Wiese mit den Hunden. Das stimmt nicht. Am liebsten bin ich unter Menschen. Das muss nicht unbedingt der Biergarten sein. Zu laut von den vielen tausend Stimmen, der Blasmusik und es ist jedes Mal ein Schock, wenn jemand ein Tablett auf den Tisch knallt oder vom „Spülmann“, auch wenn es eine Frau sein sollte, das Besteck in den Besteckkästen geschüttet wird. An die Gerüche von Brathuhn, Currywurst, Käse und Bier habe ich mich gewöhnt. So gewöhnt, dass ich in der babylonischen Dunstwolke leben könnte.

Jetzt schnippelt er da oben die Wurst auseinander, lutscht die scharfe Soße ab, die mir nicht bekommen soll, da ich kein Chihuahua bin, so allenthalben von anbiederndem Gelächter gefütterte Fehlinterpretation.

„Essen ist fertig“. 

Die Stimme klang nach sanfter, selbstbestätigter Verheißung von etwas, was schon kalt war.

Fertig? „Wuff. Das hier war es gestern schon“. Einmal leise Bellen, mit dem Schwanz wedeln, sich recken und ein entlastendes Gähnen spielen, das zu häufig als Müdigkeit gewertet wird. Er hat immer noch nicht begriffen, dass zumindest meine Nahrungsaufnahme wie ein angeborener Auslösemechanismus ist und die Beobachtung seines Pegelstands im Bierglas mit der Abschätzung, wann ich endlich ins Gebüsch darf, völlig ausgesetzt wird. Gleich treffe ich die anderen. Vielleicht schafft Herrchen es ja diesmal und das Weibchen kommt mit. Würde mich für ihn freuen. Ein netter Kerl, etwas einfältig und schon zu lang Junggeselle. Er brachte mich mit in die Ehe und ging mit mir wieder raus aus der Ehe. Der Hund sei ihm wichtiger als sie, pöbelte sie damals, vor fast zwei Jahren. Das war nicht alles, was sie an ihm auszusetzen hatte. Was für eine Umgangsform? „Der Hund“. Mein Name ist George und meine Herkunft verschweige ich, um Dich nicht in Ehrfurcht erzittern zu lassen. 

Bienchen

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Business, Business, Business. Frauchen kommt nie zur Ruhe. Nicht mal, wenn sie mit mir im Englischen Garten ist. Entweder telefoniert sie, aber meistens schreibt sie Kurznachrichten. Wenn das Smartphone, dass sie immer greifbar hat, keine Meldung anzeigt und nicht brummt, kontrolliert sie es, sieht nach und prüft den Akku-Ladestand. Eine Armbanduhr braucht sie dafür nicht, weil das Smartphone die Zeit anzeigt und sie ständig draufsieht.

Frauchen versucht alles unter einen Hut zu bekommen. Karriere, Gesundheit und Aussehen – und ihr Privatleben. Eine toughe Frau. So tough, dass sie keine Beziehungen hat. Nicht mal kurze. Sie redet schnell und präzise. Leider stellt sie auch sehr präzise Fragen. Viele Männer waren davon verschreckt und haben sich nach dem Essen in einem der schnellen, hippen Foodtempel der Innenstadt gleich wieder verabschiedet.

Vielleicht sollte sie einmal aufhören, so zu tun als würde sie sowieso dort ständig zum Lunch hingehen und stattdessen sich mal zum Abendessen, irgendwo gemütlich, oder rausfahren oder irgendetwas tun, das den auch sprachlich und mehrsprachig zu meist unterlegenen Männern signalisiert: „Hey, lass uns einige Stunden miteinander verbringen, weil wir es wollen.“ Das versteht Jennifer – wir beide nenen uns beim vollen, unverniedlichten Vornamen – leider nicht. Sie möchte ihre Position, die sie glaubt darstellen zu müssen nicht durch irgendetwas wie Zartheit zerstören. Schließlich hat sie sich etwas aufgebaut mit Ihrem Office in der Theatinerstraße, in bester Lage Münchens, auch wenn die meisten der wenigen Fenster zum Innenhof hinaus liegen.

Wir wohnen im Lehel. In den Englischen Garten fahren wir entweder mit der Straßenbahn, oder ich sitze in einem Korb an ihrem Sportfahrrad. Da ich zu kurze Beine habe, kann ich nicht nebenherlaufen. Auch wenn sie joggt, schaffe ich es nur dreihundert Meter, mitzuhalten.

Jetzt haben wir einen Buggy, in dem ich sitze und sie beim Laufen schiebt. An Biergarten ist mit Jennifer nicht zu denken: Sie geht aufs Oktoberfest, um Geschäftskontakte zu pflegen. Hundewiese, Sozialkontakte, Gassi, weiter. Ich bin Binchen. Der Name ist echt und nicht nachträglich verniedlicht. Ich komme mit Jennifer aus Amsterdam und lebe seit 2 Jahren in München.

Alberto

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Ich bin ein Schwabinger Urgestein. Über das Alter spricht man bekanntlich nicht, aber ich habe so einiges miterlebt. Über die wilde Zeit, in der mein Herrchen eine der angesagtesten italienischen Trattorien an der Leopoldstraße hatte, kann ich nichts sagen. Da war ich noch nicht auf der Welt, als sich die Münchner Gesellschaft bei uns im Restaurant getroffen hatte. 

Ich bin noch immer da und habe mein Körbchen gleich links neben dem Eingang. Viele streicheln mich, bevor sie zur Tür greifen. Einige scheinen nicht begriffen zu haben, dass die lauten Zeiten vorbei sind. So ist das Leben als Gastronom mit wenig Platz und guter Küche. Erst bist Du ein Abenteurer, dann ein Geheimtipp, dann kommt die Schickeria, Du erhöhst die Preise und weist bestimmte Tisch für bestimmte Gäste aus. Dann kommt die Presse, um die Schickeria zu fotografieren. Es kommt in die Zeitung und dann ist es eigentlich schon wieder vorbei, weil dann alle, auch viele vom Land, da einmal sein möchten. 

Die Karawane der Schickeria ist dann schon weitergezogen und die Gaffer begaffen sich gegenseitig und schimpfen über die zu hohen Preise und kritisieren das Essen und das Ambiente. Wie man es macht, macht man es falsch. Es ist ruhiger geworden und es kommen zumeist Leute von früher oder aus der Nachbarschaft. Auch viele Neuzugereiste kommen, um sich im Viertel zu akklimatisieren und dazuzugehören, egal wozu. Ich gehe jeden Tag, bei jedem Wetter in den Englischen Garten. Mit den anderen Hunden komme ich gut zurecht. Die Aufdringlichkeit bin ich von den Menschen gewohnt, aber jeder sollte die Grenzen kennen, die man nicht überschreitet. Es ist nicht weit und wenn mein Frauchen, nicht kann, weil sie immer noch in der Küche steht oder Herrchen Waren einkauft, dann geht entweder der Sohn, seine Frau oder die Tochter mit mir. Ich bin Alberto und seit acht Generationen Schwabinger. 

Johnny

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In einem gesunden Hund – ein gesunder Hund. Dazu brauchte keine Hundetherapie. Mein Frauchen ist Sängerin und reist viel mit der Band. Eigentlich kommen wir aus Seattle. Frauchens Vater war in einer ziemlich bekannten Band. Grunge–das waren noch Zeiten, die ich nicht erlebt habe. Aber die Menschen in der Familie sprechen viel davon. Jeder Musikstil hat seine Zeit – oder anders herum. Und auch seinen Ort. Seattle, Nashville, Liverpool, „Motown“. 

München? Sie kam hierher, der Liebe wegen. Ich ging mit. Wir sind ein Team. Er ist kein Saxophonist oder Gitarrist, nicht mal Drummer, sondern Psychologe und Coach. Klingt komisch, aber vielleicht läuft es deswegen so gut mit den beiden. Er ist auch etwas älter als sie und er trainiert täglich an der Isar. Drei mal die Woche laufe ich mit ihm runter zu Englischen Garten. Er trinkt dort seine Apfelschorle und ich kriege eine Knackwurst. Danach geht es auf die Hundewiese, damit ich kommunizieren kann. Typisch Psychologe. Keine Ahnung vom Alltag. Ich bin Musiker und drücke mich mit Musik aus. Die Menschen nervt das manchmal, aber Gesang ist meine Profession. Wenn Frauchen auf Tour ist, und ich auch dabei bin, bin ich im Tourbus und Backstage. Das ist der absolute Wahnsinn. Das Licht, die Bühne, das Publikum und mein Frauchen bringt sie alle zum Jubeln. Die Bandmitglieder und die Roadies sind meine Freunde. Wenn auf- oder abgebaut wird, muss ich im Bus bleiben, seit ich mal bei den Kabeln helfen wollte. 

Die Hundewiese in Englischen Garten? Es gibt Schlimmeres. Es ist nicht die große, weite Welt, aber ein Auszug daraus, wenn auch wenig Freigeister und Künstler da sind.

Mein Name ist Johnny. Ich bin Musiker, Irondog und Unterhaltungskünstler. Ich wohne im Glockenbachviertel.